„Das große Geschenk für das letzte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts“

328 Tage nach dem Fall der Mauer war die Wende vollzogen. Am 3. Oktober 1990 trat die DDR dem „Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes“ bei. So hatte es wenige Wochen vorher die Volkskammer in Ost-Berlin beschlossen. Der Weg für die Wiedervereinigung Deutschlands war frei; sie wurde am 3. Oktober 1990 wirksam. Ein denkwürdiger Mittwoch vor 30 Jahren, der bis heute ein gesetzlicher Feiertag ist. Die Volkswagen Mitarbeiterzeitung „autogramm“ erschien seinerzeit am 2. Oktober 1990, also unmittelbar vor dem Tag der Deutschen Einheit, und vier Wochen später am 2. November 1990. Der Chefredakteur legte damals Wert darauf, „die Realitäten des Unternehmensgeschehens journalistisch herauszuarbeiten“. Die Redaktion griff daher das auf, was „das VW-Spezifische ist, das sich mit dem Datum 3. Oktober 1990 verbindet“.

Wichtigster Schauplatz der Berichterstattung war Mosel. Dort, zehn Kilometer nördlich von Zwickau, hatte Volkswagen sein Engagement nach dem Mauerfall in der Trabant-Fabrik der VEB Sachsenring Automobilwerke begonnen. Der Polo sollte in der Trabi-Fabrik vom Band laufen. Das bedeutete eine große Transformation für das Werk in Sachsen und seine Mitarbeiter.

Anfang September 1990 meldete die „autogramm“ zudem, dass Volkswagen eine „DDR-Vertriebsgesellschaft“ gegründet hat. 11.500 Modelle aus dem Konzern wurden im ersten Halbjahr 1990 in der ehemaligen DDR bestellt, für das zweite Halbjahr rechnete man mit rund 20.000 Volkswagen und Audi Modellen.

Am Tag vor dem Tag der Deutschen Einheit erschien die 10. Ausgabe der „autogramm“ des Jahres. Auf der Titelseite: „Grundsteinlegung für ein neues VW-Werk in Mosel/Zwickau“, die am 26. September 1990 mit Bundeskanzler Helmut Kohl und dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Carl H. Hahn vollzogen wurde. In Innenteil lieferte der Artikel „In Mosel geht es richtig los“ alle Daten und Fakten zu diesem Milliarden-Investitionsprojekt. Das Ziel: Bis 1994 sollen im neuen Werk 6.800 Mitarbeiter 1.200 Golf in zwei oder drei Schichten am Tag fertigen.

30 Tage nach dem Tag der Deutschen Einheit kam dann die Novemberausgabe der „autogramm“ heraus. Bemerkenswert: Im „autogramm“-Logo, das oben links auf der Titelseite steht, findet sich – kaum zu übersehen - ein Stempel, der auf den „Schwerpunkt: Deutsche Einheit“ hinweist.

Daneben hielt die Mitarbeiterzeitung den Start der Polo Serienfertigung fest: „Der Polo läuft in Mosel an“. Am Anfang gingen Trabi und Polo Stoßstange an Stoßstange über die Bänder – in Doppel-Montage. Der erste Volkswagen war ein alpinweißer Polo mit 40 kW (55 PS). Er war der Erste von exakt 17.978 Polo, die aus Mosel kamen.

Kurz nach dem Einheitsfeiertag hatte Carl H. Hahn eine Rede auf einem Kongress in Berlin gehalten. „autogramm“ zitierte ausführlich. Der damalige Volkswagen Chef stellte fest, dass die deutsche Einheit nun vollzogen ist: Es sei jetzt an der Zeit, „über die neuen eigenen Grenzen hinauszuschauen und nicht nur über den Preis für die Einheit zu spekulieren“. Er ordnete die Wende historisch ein: „Für jeden Europäer ist die Herausforderung, die uns über Nacht zugewachsen ist, das große Geschenk und die große Aufgabe für das letzte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts“.

„Eine sichere Perspektive“

In dieser Novemberausgabe hatte die „autogramm“-Redaktion fünf Sonderseiten zur deutschen Wiedervereinigung und zu Volkswagen in Sachsen zu Papier gebracht - mit vielen Originaltönen von Vorständen wie Mitarbeitern. Mehr als ein halbes Dutzend Mitarbeiter aus Zwickau stellte sich da der Frage „Was versprechen Sie sich von der Vereinigung – einmal persönlich wie beruflich?“

Wie rote Fäden durchziehen die Statements der Mitarbeiter die Erwartung auf eine gute Zukunft und sichere Arbeitsplätze bei Volkswagen. Beispielhaft ist Hans Joachim Lüdtke, ein 41-jähriger Meister in der Fertigmontage: „Wir hoffen eigentlich alle, die hier arbeiten, dass es für uns eine sichere Perspektive gibt.“

Diese Hoffnungen sind Wirklichkeit geworden. 30 Jahre weiter: Zwickau spielt heute im Konzern eine Schlüsselrolle für die E-Mobilität. Mehr als eine Milliarde Euro hat Volkswagen investiert und das Werk auf die Fertigung von E-Autos umgerüstet. In 2021 sollen hier auf Basis des Modularen E-Antriebsbaukastens (MEB) rund 300.000 E-Autos vom Band laufen – der ID.3 und der ID.4 sind bereits in der Serie.