Nach 20 Stunden Flug ist Franziska Killiches am Ziel. Chile. Atacama-Wüste. Einer der trockensten Orte der Erde. „Der Boden ist steinhart. Jeder Tropfen Wasser verdunstet sofort“, erinnert sich Killiches an ihre ersten Eindrücke. Anders als 250.000 Touristen im Jahr besucht sie die Wüste nicht, um Geysire in den Bergen oder Lagunen voller Flamingos zu sehen. Seit knapp einem Jahr arbeitet die 33-Jährige bei Volkswagen als Expertin für nachhaltige Rohstoffbeschaffung. Immer wieder liest sie kritische Berichte über den Lithium-Abbau in der Atacama-Region. Hauptvorwurf: Die Rohstoffgewinnung gefährde die Wasserversorgung der indigenen Bewohner. Killiches‘ Reiseziel: „Wir wollen uns ein eigenes Bild machen.“ Knapp eine Woche lang fährt Killiches in einer kleinen Gruppe von Ort zu Ort. Sie spricht mit Vertretern der Einheimischen und mit Unternehmen, die Lithium fördern.
Erkundungsreise in die Lithium-Wüste von Chile
Schadet der Lithium-Abbau den Bewohnern der Atacama-Wüste in Chile? Immer wieder gibt es entsprechende Berichte - doch für ein verlässliches Gesamtbild fehlen die Fakten. Franziska Killiches, Expertin für nachhaltige Rohstoffbeschaffung bei Volkswagen, hat sich deshalb selbst auf den Weg gemacht.
Ohne den wertvollen Rohstoff sind die Batterien heutiger Elektroautos ebenso wenig herstellbar wie die Akkus vieler Handys oder Laptops. Für Volkswagen bringt das eine besondere Verantwortung mit sich. Denn: So konsequent wie kaum ein anderer Hersteller setzt das Unternehmen auf Elektromobilität, um bis 2050 klimaneutral zu werden. „Die Rohstoffe für unsere Elektrobatterien müssen unter nachhaltigen Bedingungen abgebaut werden. Wir müssen deshalb alles tun, damit durch die Lithium-Gewinnung kein Schaden für Mensch und Natur entsteht“, betont Ullrich Gereke, Leiter Beschaffungsstrategie und Chef von Franziska Killiches.
Auf ihren Touren durch die Wüste stellt Killiches fest, dass drei Dinge niemals fehlen dürfen: Sonnenbrille, starke Sonnenmilch und eine lange Hose. „Wer hier fünf Minuten leichtsinnig ist, der hat einen Sonnenbrand.“ Mit schützender Mütze fährt sie in einem Geländewagen an riesigen Sole-Becken vorbei. Von Stufe zu Stufe wechselt das Wasser seine Farbe, weil der Lithium-Anteil steigt. Aus Blau wird nach und nach Gelb.
„Das alles passiert nur mit Hilfe der Sonne. Chemie kommt erst viel später zum Einsatz, wenn die Sole zu Lithiumkarbonatweiterverarbeitet wird“, sagt Killiches. Aus der Atacama-Wüste wird die lithiumhaltige Flüssigkeit dazu ins 300 Kilometer entfernte Antofagasta gebracht.
In ihren Gesprächen stellt Franziska Killiches fest: Viele Atacameños sorgen sich um den Verlust ihrer Lebensweise. 6.500 indigenen Einheimischen steht eine Viertelmillion Touristen pro Jahr gegenüber. „Größere Orte wie San Pedro sind voller Hotels. Viele Jüngere wollen lieber dort arbeiten, statt die Landwirtschaft ihrer Eltern und Großeltern fortzusetzen.“ Auch die Arbeiter der großen Kupferminen kommen von außerhalb. „Die Flugzeuge sind voller Bergleute, die zu ihren Arbeitseinsätzen reisen. Alle paar Tage tauschen die Firmen das Personal aus.“
Eine bäuerliche Lebensweise gibt es nur mit ausreichender Wasserversorgung – und die hat sich in der Atacama-Region nach übereinstimmenden Berichten der Einheimischen verschlechtert. „Es steht außer Frage, dass heute weniger Regen fällt und weniger Wasser aus den Bergen in die Ebene fließt, als es die Menschen früher gewohnt waren“, sagt Killiches.
Unklar ist allerdings, ob das mit dem Lithium-Abbau zusammenhängt. Daten zeigen: Beim Süßwasserverbrauch der Region liegt der Wasserverbrauch der Unternehmen, die Lithium gewinnen, mit einem Anteil von fünf bis zehn Prozent hinter dem Tourismus und dem Kupferbergbau. Zudem ist die Region bereits heute stark vom Klimawandel betroffen, was die Trockenheit verschärft.
Kritiker des Lithium-Abbaus haben noch einen weiteren Verdacht: Sie befürchten, dass Süßwasser dorthin nachströmt, wo lithiumhaltige Sole abgepumpt wird. Damit würde das wertvolle Trinkwasser unbrauchbar für Mensch und Tier. Auch für diese Befürchtung haben Experten bisher allerdingskeinen Beleg gefunden. „Es gibt kein einheitliches hydrologisches Modell, das den Verdacht stützt“, berichtet Killiches. Vielmehr arbeiten die betroffenen Unternehmen und Siedlungen mit jeweils eigenen Modellen über die Wasserströme in der Atacama-Wüste. „Das macht es schwer, zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen.“
Was also bleibt von der Erkundungsreise? „Ich kann gut verstehen, dass sich viele Atacameños Sorgen um ihretraditionelle Lebensweise machen“, sagt Franziska Killiches. „Wir wollen im Gespräch bleiben und besser verstehen, wodurch sich die Lebensbedingungen in der Atacama-Wüste verändern, um zu analysieren, wie Endabnehmer wie Volkswagen zu nachhaltigen Bedingungen der Lithiumförderung in Chile beitragen können.“ Auf ihrer Tour hat Killiches deshalb auch Kontakt zum so genannten Rat der Indigenen geknüpft, der zentralen Interessenvertretungder Einheimischen. „Die Atacameños sind mittlerweile sehr gut organisiert und verfügen über eigene Fachleute, die sie beraten. Das ist eine gute Grundlage, um zu Lösungen zu kommen.“
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