Also ist das Patentrecht vor allem zum Schutz der eigenen Innovationen für Volkswagen wichtig?
Die Patentrechtslage ist für die gesamte Automobilindustrie relevant: In den aktuellen Top 10 der Anmelder beim Deutschen Patent- und Markenamt stammen neun Unternehmen aus der Automobilindustrie.
Für Volkswagen ist eine ausgewogene patentrechtliche Lage von besonderer Bedeutung. Als eines der innovationsstärksten Unternehmen in Deutschland brauchen wir ein belastbares und faires Patentrecht. Allein 2020 haben wir 1.503 Patente angemeldet. Dazu zählen zum Beispiel Patente im Bereich Batterie- und Ladetechnik, alternative Antriebe, vernetztes und automatisches Fahren sowie Komfortelektronik. Zur Bekämpfung von Produktpiraterie und Fälschungen sind auch wir auf ein leistungsfähiges Patentsystem angewiesen.
Immer wieder hört man von Streitfällen zwischen Automobilherstellern und Patentinhabern. Was passiert, wenn Volkswagen Patente Dritter verletzt und wie kommt es überhaupt dazu?
Die Komplexität der Produkte ist unsere Achillesferse. Diese Komplexität macht uns für solche Rechtsfragen anfällig. Volkswagen tut das Möglichste, um Patentrechtsverletzungen zu vermeiden. Selbstverständlich haben wir kein Interesse daran, die Rechte Dritter zu verletzen. Hinweisen auf mögliche Patentverletzungen wird umgehend nachgegangen und berechtigte Schutzrechtspositionen werden unverzüglich mit den Patentinhabern verhandelt. Insbesondere bei standardessentiellen Patenten streben wir effiziente und transparente Lösungen an und entwickeln hierzu auch eigene Beiträge.
Schließlich ist Volkswagen als Anbieter von komplexen Produkten in Streitfällen mit Patentinhabern hohen finanziellen Risiken ausgesetzt – selbst dann, wenn ein Gericht später das Klagepatent einschränken oder vernichten sollte. Und genau hier sehe ich Änderungsbedarf im deutschen Patentrecht.
Derzeit wird ja an einem zweiten Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts gearbeitet. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?
Wenn eine Patentverletzung in der ersten Instanz festgestellt wird, kann in der aktuellen Gesetzeslage die Produktion eines Fahrzeugs gestoppt werden – auch aufgrund einer untergeordneten Komponente. Patentinhaber können vor Gericht leicht durchsetzen, dass ihre Patente nicht genutzt werden. Das ist der sogenannte Unterlassungsanspruch. Für die Automobilindustrie ist es aufgrund der Komplexität der Produkte besonders kritisch. Die Erfahrung zeigt leider, dass dieser Unterlassungsanspruch oft zur Durchsetzung unverhältnismäßig hoher Lizenzzahlungen dient. Das grenzt an Erpressung.
Denn die Lizenzgebühren orientieren sich in solchen Fällen oft nicht nach dem eigentlichen Wert einer Erfindung, sondern vielmehr nach den finanziellen Risiken eines Produktionsstopps. Der Schaden, der durch den möglichen Produktionsstopp entsteht, kann im extremen Maß unverhältnismäßig gegenüber dem Wert der durch das Klagepatent geschützten Erfindung sein.
Der Rechtsstreits zwischen Broadcom Inc. und der Volkswagen AG / Audi AG ist ein gutes Beispiel für die Auswirkungen der automatischen Unterlassung im deutschen Recht. Copenhagen Economics hat diesen Fall in einer Studie analysiert: In der Studie wurde der Wert eines solchen Patents berechnet. Das Ergebnis: 0.0013 Euro pro Einheit. Für die Anzahl der Fahrzeuge, die potentiell die Patente verletzen, ergibt sich ein Gesamtwert von knapp 29.000 Euro. Die Autoren der Studie schätzen aber die Höhe der Vergleichszahlung zwischen 533 Millionen Euro und 876 Millionen Euro. Da wird deutlich, wie sehr die Vergleichsverhandlungen durch die Drohung eines Produktionsstopps verzerrt werden können.
Welche Lösung schlagen Sie vor?
Gesetzeslage und richterliches Handeln sollten sich daran orientieren, dass bei der Forderung von Lizenzgebühren der Patentinhaber einen fairen und angemessen Preis erhält. Das erwartet Volkswagen auch im Hinblick auf seine eigenen Patente. Das Patentrecht darf aber nicht den Missbrauch des Unterlassungsanspruchs und erpresserisches Verhalten ermöglichen. Es ist inakzeptabel, dass sich die Forderung eines Patentinhabers an unserem Ausfallrisiko und nicht am Wert der tatsächlichen oder angeblichen Erfindung orientiert.
Wir benötigen dringend eine Patentrechtsmodernisierung, die wirklich wirksam ist und diese Missstände behebt. Die Anfang September letzten Jahres vom Bundesjustizministerium vorgeschlagene Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Unterlassungsansprüchen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Man sollte von der automatischen Unterlassung abweichen und vielmehr auf Umstände des Einzelfalls und insbesondere auch das Verhalten des Patentnutzers berücksichtigen. Die Gerichte sollten in etwaigen Streitfällen beispielsweise die Frage stellen, ob der Nutzer grundsätzlich zu Lizenzzahlungen im vernünftigen Rahmen bereit ist.
Die Patentreform muss auch den für das produzierende Gewerbe unangemessenen Aktivitäten von Patentverwertern – auch non-practicing entities genannt – wirksam begegnen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist insbesondere bei solchen Klägern sinnvoll, deren Geschäftsmodell allein auf die monetäre Verwertung von Patenten gerichtet ist. Es muss sichergestellt sein, dass ein derartiger Patentverwerter nicht mittels einer Instrumentalisierung der gegenwärtigen Gesetzeslage und Rechtsprechung eine extrem überhöhte Lizenzgebühr erlangen kann. Dass die derzeitige Situation im deutschen Patentrecht zum Missbrauch geradezu einlädt, wird schon allein durch die im europäischen Vergleich außergewöhnlich hohe Anzahl von Patentverwerterklagen in Deutschland deutlich.
Wir hoffen, dass nun im Gesetzgebungsverfahren die Patentreform – im Einklang mit dem jüngsten Vorschlag des Justizministeriums – diese Schieflage im Patentrecht angemessen und vor allem wirksam korrigieren wird.