09:36 Uhr, das Auto rollt in die Box. Der gelb-schwarze Golf GTI TCR hat an diesem stürmischen Morgen schon die zweite Runde hinter sich, Rennstrecke Nürburgring, Nordschleife. Und sofort schwirren die Teammitglieder los, um ihn für die dritte fit zu machen. Am besten in Rekordgeschwindigkeit.
Werden 20 Girls den Ring rocken?
Motorsport gilt immer noch als männliche Domäne. Jetzt fordert ein rein weibliches Team im Golf GTI TCR die Konkurrenz heraus – unterstützt von Volkswagen. Ein Boxenbesuch bei „Girls Only“.
Janine rollt die Druckluftflasche ran, fährt das Auto hoch, über die eingebaute Hebeanlage. Lisa tankt nach. Corinna und Tamara checken den Reifendruck, füllen die Listen aus, während Chiara und Sarah zu zweit unterm Wagen liegen und an den Stabilisatoren schrauben. Jasmin, die Fahrerin, nimmt den pink-weißen Helm ab, atmet kurz durch, bis Teamchefin Ellen das Signal gibt: „Alle fertig? Weiter geht’s!“
Obwohl wir im Jahr 2019 leben, obwohl „Frauen am Steuer“-Witze heute mindestens so vergammelt schmecken wie alte Kekse aus den 80er-Jahren: Es ist schon eine Überraschung, wenn man in einer solchen Boxenstopp-Szene nur weibliche Personen sieht: Janine, Lisa, Corinna und die anderen, die insgesamt 20 jungen Frauen, die an diesem nasskalten Trainings-Samstag den GTI TCR auf die Nordschleife bringen – sie sind das Motorsport-Team „Girls Only“. Und das ist ihre Geschichte.
Die Draufgängerin
Als Carrie Schreiner 2016 ihren Führerschein macht, in Völklingen bei Saarbrücken, bringt sie ihren Lehrer an den Rand des Wahnsinns. Wie sehr er sie auch ermahnt, sie fährt zu schnell auf Kreuzungen zu, bremst zu spät, legt das Fahrschulauto viel zu rasant in die Kurven. Der Rennfahr-Instinkt lässt sich nicht abschalten, keine Chance. Die Prüfung besteht sie trotzdem.
„Der schönste Moment ist der, wenn man im Rennen plötzlich merkt:
Jetzt sind das Auto und ich eins“, sagt Carrie, die eine der vier Fahrerinnen des „Girls Only“-Teams ist. „Sobald man den Rhythmus gefunden hat, ist das eine Erfahrung, die man mit nichts anderem vergleichen kann.“
Ihr Vater ist Amateurrennfahrer. Schon als sie noch sehr klein war, nahm er sie mit auf die Strecke. Sie begann früh mit dem Kartsport, fuhr bald Rennen, landete immer weiter vorn. Dann, mit Führerschein, wurde es noch ernster. 2018 gewann sie unter anderem ein Rennen beim Porsche Sports Cup in Spielberg. Das erste Mal, dass hier eine Frau die Männer lahm aussehen ließ. Mit 20 ist Carrie ein Speed-Star.
Motorsport: weibliche Überholmanöver
Wie gesagt: Frauen wie Carrie sind im Motorsport selten, aber keine Ausnahme. Schon 1958 startete die Italienerin Maria Teresa de Filippis als erste weibliche Formel-1-Fahrerin (und erreichte beim Großen Preis von Belgien den zehnten Platz). 1980 gewann die Südafrikanerin Desiré Wilson ein Rennen der Aurora-AFX-Formel-1-Serie, 1985 siegte Michèle Mouton am Pikes Peak. Susie Wolff und Carmen Jordá sind heute prominent.
Mit der W-Series wird 2019 sogar eine rein weibliche Rennserie starten. Die ist allerdings umstritten. Viele finden, dass sie die Geschlechterunterschiede eher zementiert als überbrückt. Ein Team, das in allen Positionen mit Frauen besetzt ist, aber sich in einer Rennklasse mit Männerteams misst – das war im Frühjahr 2018 die Idee von Nicole Willems. Ihr Mann Thorsten ist neben Thomas Rehlinger einer der Geschäftsführer des Rennstalls WS Racing aus Trierweiler, gemeinsam entwickelten Nicole und er das „Girls Only“-Konzept. Unterstützt von Volkswagen und dem Reifensponsor Giti Tires soll die Frauentruppe von WS zuerst an drei Läufen zur VLN Langstreckenmeisterschaft teilnehmen und dann, als Saison-Höhepunkt am 22. und 23. Juni 2019, am ruhmreichen ADAC TOTAL 24h-Rennen auf der Nordschleife.
Das Casting begann im Herbst 2018, seit März steht das Team. Zur einen Hälfte Rennsport-Frischlinge, zur anderen Hälfte ausgefuchste Asphalt-Queens wie Carrie Schreiner.
„Die meisten finden ,Girls Only’ cool“, sagt Carrie. „Wir setzen ja nicht einfach vier Hühner auf ein Auto. Wir verschaffen uns Respekt. Wir beißen uns durch.“
Die gute Seele
„Carrie, hörst du mich?“ Ellen, die mit Mütze, riesigen Kopfhörern und Headset vor der Box an der Strecke steht, fragt kurz nach:
Über Funk, denn der Golf GTI TCR röhrt längst wieder über die Nordschleife, die ja rund 25 Kilometer lang ist. Ihre Zwischenbilanz: „Wenn es die ganze Saison so weitergeht wie heute, bin ich zufrieden. “Ellen Lehmann, die eigentlich Fahrlehrerin ist, kommt aus der Nähe von Trier. Auch sie rutschte durch einen Mann in den Sport: Ihr Ehemann fuhr Rennen, sie kam mit, ließ sich anstecken. 2010 stieg sie in die Teambetreuung ein, arbeitete für verschiedene Marken und Serien. Vom „Girls Only“-Projekt las sie auf Facebook. Klar, damit musste sie gemeint sein. Sie zögerte keine Sekunde und bewarb sich.
Jetzt ist sie Teamchefin, kümmert sich um alle Probleme im Ablauf, technische oder zwischenmenschliche. Die Entscheidung, ob alles bereit zum Start ist, trifft sie: „Dann schicke ich die Mädels auf die Reise!“ Wenn man beobachtet, wie Ellen Lehmann den Boxentrubel dirigiert, wie sie die Leute beruhigt, Kommandos gibt, die so nett wie strikt sind – man würde nie auf die Idee kommen, dass sie das zum ersten Mal macht. Und dass es in dieser ersten Phase der Teamfindung noch weit mehr drunter und drüber geht, als sie vielleicht zugeben mag.
Die Quereinsteigerin
Lisa erkennt man an der großen schwarzen Mütze. Als sie sich für „Girls Only“ meldete, hatte sie eigentlich vor, mehr im Hintergrund zu agieren: Organisation, Zeitnahme, solche Sachen. Alles, was zu ihrem Fach passt: Lisa aus Saarbrücken studiert Tourismusmanagement. Doch es kam ganz anders. Bei den ersten Treffen zeigte sich, dass sie wie geschaffen ist für die Action beim Boxenstopp. Auch Lisa ist Kartfahrerin, hat schon so viel technischen Kram gelernt, dass ihr Talent nicht verschwendet werden darf. Jetzt ist sie fürs Tanken zuständig, dazu für Springer-Tätigkeiten, wenn irgendwo eine Hand oder ein Akkuschrauber gebraucht wird. So findet bei „Girls Only“ jede ihren Platz, der am Ende manchmal mehr Verantwortung bedeutet, als man im ersten Moment für sich beanspruchen wollte.
Was macht die Arbeit in einem komplett weiblich besetzten Team so besonders? „Frauen sind ein bisschen sorgfältiger, achten mehr aufs Detail“, sagt Lisa Mohr. „Vielleicht dauert bei uns am Anfang deshalb manches noch ein bisschen länger.“ Das wird sich bald ändern, wenn das Feintuning vollendet ist, wenn alle Rädchen bei „Girls Only“ mehr oder weniger perfekt ineinandergreifen. „Am Anfang ist es ja immer so, dass einem die Jungs noch zuzwinkern“, erzählt Jasmin Preisig, 26, die viele Rennen gefahren ist und in Box 23 mehrfach von Autogrammjägern aufgespürt wird.
„Aber wenn du dann schneller fährst als sie – dann sind sie beleidigt. Und reden nicht mehr mit dir.“
Ein erster Erfolg, eine weite Perspektive
Beim ersten Rennen der VLN Langstreckenmeisterschaft am 23. März sind die Girls übrigens schon schneller gefahren als die meisten anderen – und in ihrer Klasse auf dem zweiten Platz gelandet. Zwei Läufe folgen im April, Mitte Mai dann das ADAC-Qualifikationsrennen. Was sie sich fürs 24-Stunden-Finale Ende Juni vorgenommen haben? Wen man im „Girls Only“-Team auch fragt, das beantworten alle gleich: Durchkommen. Respektabel abschneiden. Was immer das genau heißen wird.
„Wir verfolgen alle dasselbe Ziel, ziehen alle am selben Strang“, sagt Ellen Lehmann entspannt, als sie den GTI TCR eben in die letzte Runde des Trainingstages gejagt hat. Wie es weitergeht mit „Girls Only“, wenn die 24 Stunden vom Nürburgring vorbei sein werden? Sie wartet kurz, lässt nebenan auf dem Asphalt erst noch zwei Wagen vorbeisausen, bevor sie antwortet.
„Dann tun sich vielleicht schon wieder ganz andere Möglichkeiten auf“, sagt Ellen Lehmann. Klingt vielsagend. Und logisch.
Als One-Hit-Wonder sei „Girls Only“ nicht gedacht, kommentiert auch der Rennstall WS Racing: Dafür seien der Aufwand und die Investition fürs Team-Building viel zu groß. Allerdings sei es wichtig, die Mädchen Stück für Stück aufzubauen, nichts zu überstürzen. Wenn der Traum 2019 also wahr wird, wenn es am Nürburgring ein reines Frauen-Rennteam gibt – dann kann mit diesem Team noch so einiges passieren. Wir bleiben dran – wenn wir hinterherkommen!