Ein bisschen wirkt er wie ein Raumschiff, der umgebaute e-Golf mit all seiner Sensorik, der durch das sonnige Hamburg fährt. Wohlgemerkt: ohne dass jemand die Hände am Steuer hat. Jedenfalls nicht direkt – der speziell ausgebildete Fahrer, Wojciech Derendarz, überwacht die Fahrt genau. Er kann jederzeit kontrollierend eingreifen. Das Fahrzeug soll Daten über autonomes Fahren liefern: Die verschiedenen Sensoren auf dem Dach, in den Kotflügeln, vorne und hinten, tasten die Umgebung mit Lasern ab, mit Radar, mit Ultraschall, mit Kameras.
Unterwegs mit Radar und Laser
Da dürften die Hamburger staunen: – weiße e-Golf fahren eigenständig durch die Stadt. Der Fahrer hat dabei nur in Ausnahmesituationen die Hände am Lenkrad. Denn hier wird das autonome Fahren getestet!
Autonomes Fahren ist Pionierarbeit
Derendarz ist Projektleiter für autonomes Fahren. Er forscht schon seit rund zehn Jahren daran. „In der Abteilung für autonomes Fahren sind alle sehr begeistert“, freut sich Derendarz. Das Projekt sei Pionierarbeit. Und autonomes Fahren in der Stadt die Königsdisziplin. „Das ist enorm, was Vielfalt und Komplexität angeht. Wichtig ist, dass unsere künstliche Intelligenz alle relevanten Objekte wahrnimmt, aber keine falschen Alarme gibt“, erklärt Derendarz. Das Projekt in Hamburg läuft seit Anfang Februar. Die Teststrecke wird von der Stadt Hamburg als neun Kilometer langer Rundkurs im Stadtgebiet aufgebaut. Sie führt vom Dammtor-Bahnhof über die Messehallen, Landungsbrücken, Elbphilharmonie, Rödingsmarkt und zurück.
Lernprozess für Mensch und Maschine
Doch warum der Feldversuch? Es geht darum das autonome Gesamtpaket auf den Straßen der Hansestadt testen zu können, die voller Ampeln, Abbiegespuren und Verkehrsschilder sind – ganz zu schweigen von anderen Verkehrsteilnehmern: Lkw, Pkw, Motorradfahrer, Fahrradfahrer und Fußgänger. Das heißt auch: Kreuzungen, Vorfahrtsregeln, parkende Fahrzeuge und Fahrstreifenwechsel im fließenden Verkehr bei knappen Distanzen. Und das ist viel Input, selbst für einen Computer. „Der Mensch trainiert seit Tausenden von Jahren das Wahrnehmen und Interpretieren von Sinneseindrücken. Dies durch ein Programm zu simulieren, ist eine Herausforderung und erstmal ein Lernprozess für uns und die Maschine“, sagt Derendarz. Die Software, die das nun in Angriff nimmt, hat sein Team selbst geschrieben, größtenteils in den Programmiersprachen C++ und Python. Eine spezielle Technik, GPUs, ermöglicht eine parallele Programmierung, durch die viele Daten gleichzeitig verarbeitet werden können. Das Projekt arbeitet mit unterschiedlichen Ansätzen für künstliche Intelligenz: Deep Learning, neuronale Netzwerke, Mustererkennungsverfahren.
Wie reagieren die Algorithmen auf der Straße?
„Gerade die Kombination aus verschiedenen Sensoren und Softwaremodulen im realen Straßenumfeld liefert wichtige Erkenntnisse. Einzelne Module lassen sich leicht im Labor oder in einer Simulation testen. Es geht aber um das Zusammenspiel aller Komponenten“, erklärt Derendarz. Neue Daten sammeln, prüfen, wie die Algorithmen sich auf der Straße schlagen, und dann nachjustieren. So tastet sich das Team immer weiter heran an die nächsten Stufen des autonomen Fahrens. „Der Übergang vom teilautomatischen Fahren der Stufe zwei zum hochautomatischen Fahren der Stufe drei ist ein Quantensprung“, sagt Derendarz.
Denn je offener eine Situation ist, je mehr passiert und passieren kann, desto stärker ist die künstliche Intelligenz gefordert. Einparken? Kann der Assistent machen, ist eine klar definierte Aufgabe. Spur halten auf der Autobahn, ohne auf andere Fahrzeuge aufzufahren? Schon schwieriger, aber wenigstens fahren alle Autos in die gleiche Richtung. Und auf der Autobahn gibt es auch keinen Gegenverkehr, Ampeln und alles andere, wodurch der Stadtverkehr so herausfordernd wird.
Sicherheit hat absolute Priorität
Auch im Inneren ist der e-Golf umgerüstet. So zeigt das Display wahlweise und je nach Situation beispielsweise bewegte und unbewegte Objekte an, dazu Fahrbahnbegrenzungen und voraussichtliche Bewegungen anderer Verkehrsteilnehmer. Das System blickt sozusagen zehn Sekunden in die Zukunft, um die aktuelle Situation vorherzusagen, auf alles vorbereitet zu sein und auch die eigene Fahrt planen zu können. Die Situation wird anhand der Daten mehrere Male pro Sekunde neu evaluiert. Ganz alleine wollen die Forscher das Testfahrzeug aber noch nicht fahren lassen. Es hat zwar zahlreiche Sensoren – doch manchmal kann es Dinge noch falsch interpretieren. Und es ist sehr defensiv eingestellt – damit wirklich nichts passiert. Sicherheit geht vor.
Die fünf Stufen des autonomen Fahrens:
Stufe 1: Assistiertes Fahren
Beispiel: ACC (automatische Distanzregelung)
Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren
Beispiel: Travel Assist (kombinierte Distanzregelung und Spurführung)
Stufe 3: Hochautomatisiertes Fahren (in Entwicklung)
Beispiel: Staupilot
Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren (in Entwicklung)
Beispiel: Parkhauspilot
Stufe 5: Autonomes Fahren (in Entwicklung)
Beispiel: Vollständig fahrerloser Transport
Fahrzeug optimal vorbereitet
Dennoch ist erstaunlich, was das Fahrzeug schon leistet. Das Auto und sein Computerhirn sind optimal vorbereitet. Die Strecke ist exakt vermessen, viele wichtigen Daten bereits erfasst und abgespeichert. Ein spezielles Messfahrzeug ist die Strecke im Voraus abgefahren und hat so viele Daten wie möglich gesammelt: Jede Begrenzung der Fahrbahn ist gespeichert, jede Bürgersteigkante, jede durchgezogene Linie“, erklärt Derendarz. Zudem kann das System per Funkverbindung mit manchen Ampeln kommunizieren. „GPS und normale Navigationskarten hätten für uns nicht gereicht, sie sind für dieses Zwecke zu ungenau. Außerdem stören hohe Gebäude manchmal den Empfang.“
Menschen sind nicht immer aufmerksam
Doch obwohl die Testfahrzeuge schon viel können – so schnell kommen autonome Fahrzeuge für den Masseneinsatz im urbanen Raum noch nicht auf den Markt. Als nächstes sieht Derendarz geregelte Situationen wie das selbstständige Parken im Parkhaus oder das automatisierte Spurhalten auf der Autobahn. Er begrüßt die Vorteile des autonomen Fahrens: neben Zeit- und Platzersparnis ist es auch ein Plus an Sicherheit. „Menschen sind nicht immer aufmerksam. Rund 90 Prozent der Unfälle sind aktuell auf menschliches Versagen zurückzuführen“, sagt Derendarz. Die Entwicklung könne schnell gehen, fügt er hinzu: „Wir haben in vielen Bereichen schon einen exponentiellen Anstieg an Kompetenz, gerade im Bereich Sensortechnik tut sich sehr viel. Und wir forschen mit Hochdruck an der Weiterentwicklung.“