Die Farben der Flagge von Ruanda sind Blau, Gelb und Grün. Bei einer Fahrt quer durch die Hauptstadt Kigali bekommen Besucher schnell ein Gefühl dafür, warum das wohl so ist. Blau leuchtet der Himmel über der Stadt, selbst wenn sich ein paar Wolkenschlieren davorschieben. Saftig grün sprießt die Vegetation zwischen den Wohngebäuden und Hochhäusern der Millionenmetropole, die sich über unzählige Hügel ausbreitet. Und gelb-braun ist die Erde, die sich als feiner Staub am Straßenrand und in den Ritzen der ansonsten auffällig aufgeräumten Bürgersteige sammelt.
Eine automobile Revolution
Volkswagen in Ruanda: lokale Fertigung, Vertrieb und neuartige Mobilitätsdienste.
Hätte die ruandische Flagge auch eine akustische Komponente, es müsste das Knattern der unzähligen Motorräder sein, die durch die Stadt fahren. Die Motorradtaxis prägen das Straßenbild. Zwischen Bussen und meist älteren Autos, oft Pick-up Trucks aus japanischer Fertigung, suchen sie ihren Weg. Vorne sitzen die Fahrer in ihren typischen roten Leibchen, die sie als zertifiziert ausweisen. Hinten die Fahrgäste, die sich lässig zurücklehnen und während der Fahrt auf ihren Smartphones tippen.
An diesem Bild könnte sich einiges ändern, und das schon bald. Die Chancen stehen gut, dass in Kürze deutlich mehr Menschen in Kigali mit Neuwagen unterwegs sind, etwa einem Passat oder Polo, einem Tiguan, Teramont oder Amarok von Volkswagen. Die Fahrer werden diese Autos zwar nicht unbedingt besitzen, aber sie werden sie nutzen - so wie es zu ihren Bedürfnissen passt, allein oder zusammen mit anderen. Buchen und bezahlen werden sie die Mobilitätsangebote per App, einfach und ohne Bargeld.
Vorzeigeprojekt für ganz Afrika
Das ist die Vision. Dafür sind an diesem Mittwoch mehr als hundert Gäste in die Special Economic Zone von Kigali gekommen. Ein großes Plakat vor einem leuchtend weißen Gebäude verkündet: „Volkswagen. Moving with Rwanda.“ Es geht um die Eröffnung der ersten Fertigungsstätte von Volkswagen in Ruanda. Ein Ereignis, von dem in Kigali schon viele gehört haben. Wen auch immer man darauf anspricht, ob im Hotel oder beim Abendessen im Restaurant, alle berichten stolz über den Start von Afrikas erstem integrierten Mobilitätskonzept. Eine automobile Revolution, für Ruanda, und den ganzen Kontinent.
„Diese Anlage symbolisiert einen wichtigen Abschnitt in Ruandas Reise der ökonomischen Transformation“, sagt Ruandas Präsident Paul Kagame in seiner Rede.
Dass er zur Eröffnung gekommen ist, unterstreicht die Bedeutung des Termins. Für Paul Kagame ist das, was er mit Volkswagen vor 18 Monaten auf den Weg gebracht hat und was nun Realität wird, der erste Schritt eines grundlegenden Wandels. „Viele der Autos auf unseren Straßen sind im vergangenen Jahrhundert gebaut worden“, sagt Paul Kagame. „Afrika darf nicht der Abladeplatz für alte Autos oder andere alte Dinge sein. Wir als Afrikaner und Ruander verdienen Besseres. Und dieses Projekt zeigt, wie wir das schaffen können.“
In der Werkshalle lässt sich Paul Kagame zeigen, wie das konkret aussieht.
Die Führung übernimmt Thomas Schäfer, CEO von Volkswagen Group South Africa und verantwortlich für die gesamte Region südlich der Sahara. „Ruanda bietet großes Potenzial“, sagt Thomas Schäfer. Hier in dieser hellen und sauberen Halle werden auf einer Fläche von rund 3.000 Quadratmetern Fahrzeuge montiert. Das Verfahren, das in Phase 1 angewendet wird, nennt sich Semi-Knock Down (SKD): Teilweise montierte Fahrzeugkomponenten aus Südafrika werden in Ruanda zusammengesetzt. Das erste Modell, das lokal in Ruanda zusammengebaut wird, ist der Polo.
Rund 1.000 neue Jobs
In der neuen Niederlassung in Kigali findet aber auch die Wartung und die Reparatur der Fahrzeuge statt. In speziellen Trainingsräumen und an den Geräten werden Mitarbeiter weitergebildet, im vorderen Bereich der Anlage stehen Neuwagen im Showroom des Vertriebspartners CFAO Motors. Rund 1000 Jobs sollen durch das integrierte Mobilitätskonzept in den nächsten Jahren entstehen. 20 Millionen Dollar investiert Volkswagen hier.
Der Großteil der Fahrzeuge, die Mitarbeiter auf den Hebebühnen montieren, wird nicht verkauft. Sie sind für die neuen Mobilitätsangebote wie Community Car Sharing, Ride Hailing und Car Sharing eingeplant. Zunächst sollen Mitarbeiter von Firmen, Behörden, Hilfsorganisationen und anderen Institutionen per App ein Fahrzeug bestellen können. Mit Chauffeur oder für Selbstfahrer. Dieses Angebot wird dann schrittweise für private Kunden, die sich ein Auto reservieren oder eine Mitfahrgelegenheit buchen wollen, zugänglich gemacht. Ein Konzept, dass es in Ruanda bisher noch nicht gibt. „Das wurde noch nie gemacht“, sagt Thomas Schäfer beim Rundgang durch die Anlage. „Wir wollen Erfahrungen sammeln und lernen.
Der Hintergrund für diese Strategie: Abgesehen von Südafrika gibt es auf dem Kontinent noch keinen ausgeprägten Markt für Neuwagen. Im vergangenen Jahr wurden auf dem gesamten Kontinent rund 200.000 Neufahrzeuge verkauft. Aber besonders in Ruanda gibt es eine wachsende Mittelschicht: jung, gut ausgebildet und technik-affin. Diese Klientel soll für neue Mobilitäts-Angebote gewonnen werden.
Das Engagement überzeugt
„Es geht zunächst weniger darum, Geld zu verdienen. Sondern einen Markt zu kreieren. Das ist der Anfang“, erläutert Thomas Schäfer den Hintergrund für die angereisten internationalen Journalisten. Nach ein oder zwei Jahren kommen die Fahrzeuge auf den Gebrauchtwagen-Markt und fördern so die Nachfrage nach neueren Modellen. Das Vorbild ist China, wo Volkswagen seit 1983 Autos fertigt. Damit war es das erste ausländische Unternehmen, das Fahrzeuge im Land produzierte. „Es zahlt sich aus, früh dabei zu sein“, sagt Thomas Schäfer.
Volkswagen – derzeit nach dem Traditionsstandort in Südafrika auch in Kenia und Nigeria mit eigenen Fertigungen vertreten – führt bereits Gespräche mit weiteren afrikanischen Ländern. Ruanda hat die Marke mit seinem Engagement überzeugt, sagt Thomas Schäfer. „Sie haben schnell reagiert, als wir herumgefragt haben, wer mit uns etwas neues starten möchte. Sie hatten wirklich clevere Ideen für das Projekt.“
Wirtschaftswachstum
Es spricht viel dafür, dass Ruanda der richtige Ort ist, um eine solche Strategie umzusetzen. Das Land hat mit dem Völkermord, bei dem im Jahr 1994 rund eine Million Menschen starben und Hunderttausende verletzt und traumatisiert wurden, ein schweres Erbe zu verarbeiten. Es wirkt immer noch nach. Das spürt jeder, der das Kigali Genocide Memorial im Stadtzentrum besucht. Die dargestellten Gräuel sind schwer zu ertragen, und regelmäßig kommt es vor, dass Besucher der Ausstellung zusammenbrechen, die Wunden sind längst nicht verheilt. Doch das Land mit seinen rund 12 Millionen Einwohnern hat große Anstrengungen unternommen, um Vergangenheit und Armut hinter sich zu lassen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Republik zu einem afrikanischen Musterbeispiel entwickelt.
„Kigali verändert sich jeden Tag“, sagt der Fahrer, der die Gäste durch die Stadt fährt. Überall wird gebaut, oft mit Hilfe ausländischer Investoren. „Sehen Sie, wo wir heute stehen“, sagt der junge Mann bei der Fahrt durch den Finanzbezirk mit zahlreichen neuen Hochhäusern, Hotels und Tagungszentren. Das Land ist politisch stabil, hat ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum und geht rigide gegen Korruption vor. Präsident Kagame hat mit seiner Agenda Ziele definiert und setzt sie mit Nachdruck um. Das strikte Einfuhrverbot von Plastiktüten etwa scheint sich auszuwirken. Die Stadt ist sehr sauber, anders als in vielen anderen Ländern im südlichen Afrika.
Natürlich haben noch nicht alle Menschen Anteil am neuen Wohlstand. Aber vor allem die jungen Hauptstädter treffen sich in der Rooftop-Bar des Umbumwe Hotels mit Blick über das nächtliche Lichtermeer. Oder sie fahren in das Restaurant Pili Pili, wo zwischen einem Pool und einem Fußball-Käfig Kilo-Portionen Steak serviert werden und laute Musik gespielt wird.
„Diese jungen Leute sind modern und hungrig nach individueller Mobilität“, sagt Michaella Rugwizangoga, CEO der neugegründeten Volkswagen Mobility Solutions Rwanda. „Wir haben auch eine wachsende Anzahl von Touristen, die ins Land kommen, und fragen, wie können wir uns bewegen. Die Möglichkeiten für Mobilitätsanbieter sind grenzenlos.“
Frauenförderung
Michaella Rugwizangogas hat die Aufgabe, die Strategie für Ruanda umzusetzen und in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln. Sie hat das Team aufgebaut, das für den Start der Fertigung in Kenia ausgebildet wurde.
„Wir sind sehr beeindruckt, wie schnell unsere Mechaniker lernen. Wir sind gut im Zeitplan!”, sagt Michaella Rugwizangoga nach dem Gruppenfoto mit ihren Mitarbeitern. Für die Entwicklung der App, über die Kunden die Dienste bestellen, hat sie mit einem Start-up aus Kigali zusammengearbeitet. „Wir suchen weitere Talente, und wir haben hier eine der besten Universitäten der Welt.“
Dass sie als Frau in einer derart hohen Position arbeitet, mag in anderen afrikanischen Ländern ungewöhnlich sein, nicht aber in Ruanda. „Die Bank of Kigali hat eine Frau als CEO, RwandAir hat ebenfalls eine weibliche CEO“, sagt Rugwizangoga. „Zudem sind mehr als 60 Prozent der Abgeordneten in unserem Parlament Frauen – ein Anteil, von dem zum Beispiel Deutschland weit entfernt ist. Das Teilen der Macht gehört zu unserer Kultur.“ Die Regierung, erklärt Rugwizangoga, fördere mit Nachdruck, dass auch Frauen technische Berufe und Studien aufgreifen. Sie selbst hat zunächst ein Jahr Ingenieurswissenschaften an der Universität in Kigali studiert und erhielt dann ein Stipendium, um ihr Studium in Deutschland fortzusetzen. Nun arbeitet sie daran, in Ruanda eine Automobilindustrie aufzubauen.
„Das ist wirklich eine besondere Sache für die Menschen in Ruanda“, sagt Festus Tuyiringire. Der 42-Jährige leitet das Team der Fahrzeug-Montage und steht nach dem Festakt vor dem Tor der Volkswagen Niederlassung. Der Präsident und die anderen Gäste sind bereits aufgebrochen. „Wir bauen hier etwas auf, für uns und für unsere Zukunft“, sagt Tuyiringire. Und was sagen seine Freunde und seine Familie dazu, dass er nun deutsche Autos in Ruanda baut? „Die freuen sich alle darauf, dass es nun losgeht“, sagt Tuyiringire. Seine Kollegen nicken zustimmend. Sie können es kaum erwarten.