2018: Volkswagen startet beim Pikes Peak International Hill Climb
Die Rückkehr der Gipfelstürmer
Am Fuße des Pikes Peak, der hier vom Sonnenaufgang spektakulär in Szene gesetzt wird, liegt der Dreh- und Angelpunkt des Bergrennens: die Stadt Colorado Springs im US-Bundesstaat Colorado
Film: Volkswagen beim Pikes Peak Bergrennen in Colorado Springs/USA
Als Klaus-Joachim „Jochi" Kleint am 11. Juli 1987 nach 12 Meilen (knapp 20 Kilometer) auf gut 4.000 Metern über dem Meeresspiegel aus seinem staubbedeckten Rennwagen steigt, könnte er vor Enttäuschung ins Lenkrad beißen.
Es sind Bilder, die um die Welt gehen: Nur 400 Meter und die letzten drei von insgesamt 156 Kurven trennen Kleint und seinen von Volkswagen zur Power-Bergziege umgebauten Golf II vom „Gipfeltraum" – dem Triumph beim „Pikes Peak International Hill Climb".
Härtestes Bergrennen der Welt
Jener verrückten Motorsport-Veranstaltung im US-Bundesstaat Colorado also, die seit ihrer Erstauflage 1916 als das prestigeträchtigste Bergrennen der Welt gilt. In mittlerweile 22 Kategorien treten dort jedes Jahr 120 Fahrzeuge – vom Rennwagen über Straßen-Pkw und Motorräder bis hin zum Race Truck – an, um den „King of the Mountain" zu küren.
1980er-Jahre: Volkswagen greift drei Mal nach der Krone
Nachdem er es in den beiden Vorjahren bereits versucht hat, greift Volkswagen Pilot Jochi Kleint im Sommer 1987 zum dritten Mal nach der Krone. Nach der ersten Zwischenzeit noch in Führung liegend, hat er den Gesamtsieg vor Augen. Doch dann ist es ein defektes Kugelgelenk an der Radaufhängung, das ihn schon nach wenigen Kilometern ausbremst. Und Kleint? Ist ein Kämpfer. Aufgeben ist für den Norddeutschen keine Option. Er gibt weiter Gas. Kuppelt, schaltet, lenkt. Fightet verbissen, als ginge es um sein Leben.
In gewisser Weise tut es das auch. Denn die Ideallinie beim Pikes Peak International Hill Climb, das auf einem Startpunkt in luftiger Höhe von 2.800 Metern auf dem Pikes Peak Highway, der für den Rest des Jahres eine öffentliche Straße ist, seinen Ausgang nimmt, führt nur Zentimeter am ungesicherten Abgrund vorbei – und das mit einem aufgrund des Aufhängungsschadens alles andere als optimal arbeitenden Fahrwerk.
Die Rennstrecke: Der sonst als öffentliche Straße genutzte „Pikes Peak Highway" führt bis auf den Gipfel. Bis 2002 war die Strecke vollständig geschottert. Nach und nach wurde die kurvenreiche Piste komplett asphaltiert
Drei Kurven vor dem Ziel: Aufhängungsschaden bremst Kleint aus
Als die tiefen Schluchten der Rocky Mountains immer näher rücken, wird Kleint die Sache schließlich zu heikel. Drei Kurven vor dem Ziel muss der Volkswagen Fahrer seinen Rekordversuch begraben.
Dabei hat er im Kampf gegen die Uhr zuvor so namhafte Konkurrenten und hochmotorisierte Gruppe-B-Fahrzeuge wie den Lancia Delta S4, den Ford RS200 oder den Peugeot 205 hinter sich gelassen. Zähneknirschend gibt er sich Rallye-Legende Walter Röhrl in seinem bärenstarken Audi Sport quattro S1 geschlagen, der den Kurs in 10:47.850 Minuten bewältigt. Und doch: „Ein unvergessliches Erlebnis und ein einzigartiges Auto", erinnert sich Kleint bis heute voller Stolz.
1.400 Höhenmeter bei 7 Prozent Steigung
Hinter Jochi Kleint und seinem hell lackierten Golf II liegen zu diesem Zeitpunkt 153 Kurven bei rund 7 Prozent Steigung und über 1.400 Meter Höhendifferenz. Rennfahrerlegenden wie der US-Amerikaner Bobby Unser haben hier bereits Motorsport-Geschichte geschrieben. Der heute 83-Jährige konnte das „Race to the Clouds", wie das Pikes Peak International Hill Climb auch genannt wird, zwischen 1955 und 1986 sage und schreibe 13 Mal gewinnen.
In Erinnerung geblieben sind außerdem die heißen Duelle aus der Ära der „Open Rally Category" zwischen Walter Röhrl und dem Finnen Ari Vatanen, der sich mit seinem Turbo-Peugeot in den 1980er-Jahren harte Kämpfe mit den Audi-Werksfahrern lieferte.
Beim „Pikes Peak International Hill Climb" geht es hoch hinaus: Neben den engen Serpentinen stellt auch die dünne Höhenluft in über 4.000 Metern eine enorme Herausforderung für Mensch und Maschine dar.
Höhenluft als zusätzliche Herausforderung
Die dünne Höhenluft der Rocky Mountains macht Mensch und (Renn-)Maschine dabei zusätzlich zu schaffen. Sie stellt den Tross der Techniker vor eine gewaltige Extraaufgabe. Eine Herausforderung, die bei den Elektrofahrzeugen, die heutzutage in zwei eigenen Klassen antreten, mangels eines auf Luftzufuhr und Turbo-„Beatmung" angewiesenen Verbrennungsmotors wegfällt. Oder, anders formuliert: Dem E-Motor ist die dünne Luft egal.
Dem Team um Volkswagen Werksfahrer Jochi Kleint dagegen nicht. Nach einem dritten Platz 1985 und einem vierten Rang im Gesamtklassement 1986 soll es 1987 nun im dritten Anlauf endlich klappen. Um ihn und seinen eigens für Pikes Peak entwickelten Golf so schnell wie möglich auf den Bergrennen-Olymp zu befördern, haben die Ingenieure tief in die technische Trickkiste gegriffen.
„Volkswagen hatte für meine drei Starts am Pikes Peak eigens einen Twin-Golf mit zwei Motoren entwickelt – vorne ein Turbolader, hinten noch mal einer", erinnert sich der tragische Held von damals. „Die Idee: doppelte Power beim Anstieg. Ein unglaubliches Auto, von null auf 100 in 3,4 Sekunden. Auch für mich ein absolutes Highlight."
Doppelmotor: Mit der Kraft der zwei Herzen
Für dieses Ziel sind sie bei Volkswagen innovative Wege gegangen. So haben die Techniker in sechsmonatiger Arbeit im österreichischen Essling einen serienmäßigen Golf mit einem zweiten Motor im Heck ausgestattet. In diesem Prototyp arbeiten nun zwei GTI-16-V-Motoren. Mit 1,8 Litern Hubraum, KKK-Turbolader und jeweils 326 PS, die für den Rekordversuch nun gemeinsame Sache machen. Motto: Doppelt motorisiert hält besser. Vergeblich. Trotz aller technischen und fahrerischen Anstrengungen bleibt Kleints dritter Platz im Gesamtklassement von 1985 das bisher beste Ergebnis für Volkswagen.
Pikes Peak, 11. Juli 1987. Klaus-Joachim Kleint kämpft sich im über 650 PS starken Bimotor-Golf über Schotterpisten, hinauf zum Gipfel. Der Volkswagen-Mann liegt auf Bestzeit-Kurs, als er drei Kurven vor dem Ziel mit Aufhängungsschaden aufgeben muss.
Neuer Anlauf am 24. Juni 2018
Im kommenden Sommer, genauer gesagt am 24. Juni 2018, unternimmt Volkswagen einen neuen Versuch, den Gipfel aller automobilen Bergrennen zu erklimmen. Der neue Anlauf, der unter dem Motto „Unfinished Business" steht, führt Volkswagen gut 30 Jahre später erstmals zurück zur „Mutter aller Bergrennen" nach Colorado, vom zwischenzeitlichen Gastspiel eines lokalen US-Importeurs mit einem Race Touareg einmal abgesehen.
Die Vorzeichen sind diesmal etwas andere als zu Zeiten von Kleint und Co. Unter anderem ist die ehemalige Schotterstraße, die zum Gipfel in 4.301 Meter Höhe führt, seit Ende 2011 komplett asphaltiert. Die Herausforderung am Pikes Peak ist jedoch die gleiche geblieben.
„Auf diesen einen Versuch kommt es an!"
„Sportlich gesehen, ist es dieser eine Versuch, den man dort hat, um eine Bestmarke zu setzen. Auf den kommt es an", skizziert Sven Smeets, Direktor Motorsport bei Volkswagen, die neuerliche Mission. „Natürlich kann man vorher trainieren, testen, sich bestmöglich vorbereiten. Aber am Rennsonntag ist der Fahrer mit dem Auto allein auf der Strecke."
Er freut sich auf den 24. Juni 2018: Volkswagen Motorsportdirektor Sven Smeets
Auch wenn das für diesen Zweck zu entwickelnde, elektrisch angetriebene Fahrzeug für die Motorsport-Experten von Volkswagen laut Sven Smeets in mancherlei Hinsicht Neuland sei: Bei „null" müssen die Ingenieure dennoch nicht anfangen. „Wir haben schon vor geraumer Zeit damit begonnen, wichtiges Know-how und die notwendige Infrastruktur in unserem Haus aufzubauen, um mit der strategischen Neuausrichtung der Marke Volkswagen Schritt zu halten", erläutert Smeets. „Auf technischer Ebene geht es nun darum, auf Basis eines sehr freien Reglements das beste Konzept zu entwickeln."
Im Visier: Klassensieg und neue Bestzeit bei E-Prototypen
Auf diese Weise will Volkswagen die von Jochi Kleint begonnene Mission zu Ende bringen. Konkret heißt das: Unter den neuen, elektrischen Vorzeichen soll der Fahrer, dem Volkswagen diesmal sein Vertrauen schenkt, den Klassensieg und eine neue Rekordzeit in der Kategorie für elektrisch angetriebene Prototypen herausfahren. Gehalten wird die aktuelle Klassenbestzeit von Rhys Millen, der die Strecke 2016 mit einem batterieelektrischen Boliden vom Typ eO PP100 in 8:57.12 Minuten bewältigte. Der neu entwickelte Elektro-Prototyp soll die Marke also dorthin bringen, wo sie nach dem Empfinden vieler Motorsport-Fans seit gut 30 Jahren hingehört: auf den Gipfel des Pikes Peak!
Der 4.301 Meter hohe Gipfel des Pikes Peak ist – je nach Wetterlage – ganzjährig per Auto oder mit einer Zahnradbahn zu erreichen. Auch aufgrund der langen Motorsporthistorie gilt er als beliebtes Ausflugsziel.
„Perfektion ist gefragt"
Die Chancen, dass das gelingen kann, stehen gut – davon ist Volkswagen Motorsport-Direktor Sven Smeets überzeugt. „Insbesondere für ein elektrisch betriebenes Fahrzeug geht es darum, den optimalen Kompromiss aus Leistung, Energiekapazität und Gewicht zu finden. Es ist Perfektion gefragt, auf allen Seiten", betont er. Optimistisch stimmen ihn die einschlägigen Erfahrungen, die Volkswagen in der Vergangenheit „mit Einzelzeitfahren auf bergigen Asphalt-Strecken wie bei der Rallye Monte Carlo, aber auch auf der klassischen Rundstrecke gesammelt" habe, wo die Marke seit vielen Jahren zu Hause ist.
Auch beim beim Pikes Peak International Hill Climb komme es somit „durchaus auf die klassischen Qualitäten eines Rennautos an, wie zum Beispiel Fahrwerk, Aerodynamik, Gewichtsverteilung oder Bremsen. Daraus gemeinsam mit dem neuen Elektro-Antriebstrang ein siegfähiges Paket zu formen, ist eine tolle Aufgabe für unsere Mannschaft!", freut sich der gebürtige Belgier.
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