7.500 Kilometer Rallye-Vergnügen im Touareg und T4 Syncro
Baltic Sea Circle: eiskalt um die Ostsee
Urlaub hat viele Gesichter: Meer oder Berge, Entspannung oder Action – alles geht, nichts muss. Eher selten führen die Ferien allerdings in eisige Regionen. 47 Teams wollten sich Ende Februar 2018 jedoch genau das geben: Bei Temperaturen von bis zu -24 Grad drehten sie in 15 Tagen eine Runde um die Ostsee. Start und Ziel des „Baltic Sea Circle“ war Hamburg.
Wie die gut 7.500 Kilometer zu bewältigen sind, wurde klar definiert: keine Autobahnen, kein Navi. Dafür ein Roadbook der Rallye-Veranstalter, gespickt mit Aufgaben, die teilweise zum Himmel stanken. Wir ließen uns vom Team „Champagne Supernova“ aus Arnsberg und vom Dresdener Team „Power of Adventure“ erzählen, wie es auf den Lofoten, am Nordkap und in schummrigen Bars gelaufen ist.
Opas Baustellen-Bus soll plötzlich zum Polarkreis
„Ganz am Anfang stellte sich eine entscheidende Frage“, sagt Lucas Günther. „Welches Auto erfüllt unsere Ansprüche?“ Der 32-Jährige gehört zum Team „Power of Adventure“ – sein Bruder Jonas, 20, und sein Kumpel Sebastian Siwek, 36, fuhren mit. „Syncronator“ nennen sie ihren roten T4 Syncro, Baujahr 1994 liebevoll. Mindestens 15 Jahre alt mussten alle teilnehmenden Rallye-Fahrzeuge sein – rund 270.000 Kilometer war der 78-PS-Bus schon gelaufen. Jonas erklärt: „Mein Opa hat den Wagen damals gekauft. Als Baustellenfahrzeug hatte er – bis zu unserer Tour – noch nie längere Strecken am Stück absolviert.“ Um es vorwegzunehmen: Der Syncronator meisterte die Herausforderung, ohne zu mucken. „Und ein paar Mal haben wir sogar in ihm übernachtet“, fügt Siwek grinsend hinzu.
Eine Erfahrung, die sich Arndt Gaube, 48, und Boris Terwey, 46, vom Team „Champagne Supernova“ im arktischen Klima erspart haben. Sie setzten bei der Tour auf einen 15 Jahre alten grünen Touareg. „Ich habe eine Probefahrt gemacht und wusste sofort: Der ist es. Der bringt uns zum Nordkap.“ Läppische 98.000 Kilometer hatte das gute Stück erst auf der Uhr – die Jungs vom Team „Power of Adventure“ sticheln: „Mit einem schicken Touareg um die Ostsee zu gondeln, das ist doch keine große Kunst.“ Oder etwa doch?
Ohne Schneepflug kein Durchkommen
Gaube ist die Strecke des Superlative Adventure Clubs vor zwei Jahren schon mal gefahren. Mit seiner Frau. Ganz bequem – im Sommer. „Die Winter-Edition ist ein anderes Kaliber“, betont er. „Einige mussten sich aus dem Graben ziehen lassen und zwei Teams haben es nicht ins Ziel geschafft.“ Fakt ist: Auf den eisigen Pisten reicht manchmal ein kleiner Fahrfehler und schon wird es brenzlig. So ließen sich manche Passagen nur hinter dem Schneepflug bewältigen. Gaube: „Man steht an einer Schranke und wartet auf den Schneepflug. Dahinter reiht sich alles ein und nach 10, 15 Kilometern ist die Strecke dann wieder freigegeben.“ Das Räumfahrzeug dreht um und bringt dann, wie eine Fähre, die Autos aus der Gegenrichtung durch die Gefahrenzone.
Doch zurück zum roten Syncronator. Wie war das genau mit den Übernachtungen? Lucas Günther, der gemeinsam mit Sebastian Maschinenbau studiert hat, erzählt: „Das Thermometer zeigte -24 Grad und wir hatten keine Unterkunft gefunden. Die Rettung war ein Baby-Heizstrahler mit 600 Watt, den wir in weiser Voraussicht eingebaut hatten.“ So erwärmte sich die gute Stube auf mollige -7 Grad und in dicken Daunen-Schlafsäcken ließ es sich aushalten. In der Regel mieteten sich alle Teams in Hütten, Pensionen oder über Airbnb spontan eine Bleibe. Und die Verpflegung? „Wir haben einen Sponsor gefunden. Eine Fleischerei aus meiner fränkischen Heimat hat uns mit Dosenfleisch ausgestattet“, berichtet Sebastian Siwek. Glaubwürdig schwärmt der gelernte Koch vom Sauerbraten, den er auf einem Benzinkocher erhitzte. Gaskocher geben bekanntlich ab -10 Grad den Geist auf.
Mahlzeit: zwischen Sauerbraten und Surströmming
Nicht ganz so gut wie der Sauerbraten kam bei allen Teilnehmern eine berühmt-berüchtigte Fisch-Spezialität aus Schweden an. Surströmming nennt sich der in Salzlake eingelegte Hering. Die wahrscheinlich härteste Prüfung des Roadbooks sah vor, die unter Druck stehende Dose zu öffnen und damit 200 km durch die Landschaft zu fahren. Gaube und Terwey wollten das weder sich noch ihrem Touareg antun: „Der Surströmming stinkt bestialisch. Manche haben ihn mit Panzertape an die hintere Stoßstange geklebt“, weiß Gaube aus Erfahrung. Und wie ist es den Kollegen ergangen? Auf Facebook (https://www.facebook.com/powerofadventure/) ist das zweifelhafte Vergnügen zu sehen. Siwek erzählt: „Bevor wir die Dose, die unter Druck steht, öffneten, haben wir alles mit Küchenrollenpapier abgeklebt. Die Klamotten, die Haut – alles. Am Ende habe ich tatsächlich ein kleines Stückchen heruntergewürgt – die anderen haben in den Schnee gespuckt.“ Nun ja, was tut man nicht alles für einen unvergesslichen Urlaub …
Aber stopp! Schnell zurück zu den schönen Momenten. Ein landschaftliches Highlight – und darin sind sich beide Teams einig – war die Inselkette der Lofoten. Terwey: „Die Lichtverhältnisse, die malerischen Hütten, schneebedeckte Berge, die direkt im Meer enden – man kann sich kaum vorstellen, wie wunderbar diese stille Welt wirkt.“ Game of Thrones-Fan Gaube ergänzt: „Ich dachte ständig, dass gleich die weißen Wanderer auftauchen.“
Eine wilde Karaoke-Party irgendwo im Nirgendwo
Die Lofoten (zu deutsch „Luchsfuß“) liegen in Nordnorwegen jenseits des Polarkreises zwischen dem 67. und dem 68. Breitengrad. Auch Lucas Günther, der als begeisterter Hobbyfotograf hinter jeder Kurve anhalten wollte, schwärmt: „Schon schade, dass wir nicht länger bleiben konnten. Aber wer sich auf die Rallye einlässt, der weiß vorher: Kilometer fressen ist angesagt.“ Immerhin: Zeit für spektakuläre Aufnahmen mit einer Drohne fanden die Jungs von „Power of Adventure“ (siehe Trailer).
Fjorde, Eisstraßen, der stählerne Globus am Nordkap – stundenlang könnte man mit den Teilnehmern noch klönen. Doch die Schluss-Anekdote gehört dem Touareg Team, welches die Route größtenteils mit Spikes bewältigte. Gaube taucht ein in eine unvergessliche Nacht in Nurmes, einem kleinen Ort irgendwo im Osten Finnlands: „Wir gingen von unserem Hotel auf ein Bier in die nächste Kneipe. Fünf Finnen schauten kurz auf – wir bestellten am Tresen. Keiner ahnte, dass der Abend als wilde Karaoke-Party mit 50, 60 Leuten enden würde.“ Er habe sich wie im Tarantino-Film „From Dusk Till Dawn“ gefühlt, „The Passenger“ von Iggy Pop gesungen und Terwey habe „My Way“ geschmettert – alles sei ziemlich surreal gewesen. Wie heißt es so banal: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.
Eine Rallye für den guten Zweck: 94.000 Euro wurden gespendet
Und damit wäre der Road-Trip beendet, aber noch nicht die komplette Geschichte dieser Rallye erzählt. Denn es ging auch um die gute Sache. Mindestens 750 Euro sollte jedes Team am Ende für einen guten Zweck aufgetrieben haben. Egal ob für einen offiziellen Charity-Partner des Superlative Adventure Clubs oder für einen aus freien Stücken gewählten Empfänger. Das Team „Champagne Supernova“ belegte in dieser Hinsicht den ersten Platz: 7.713 Euro konnten Arndt Gaube und Boris Terwey zu der Gesamtsumme von rund 94.000 Euro beisteuern. „Für jeden gefahrenen Kilometer einen Euro“, berichten die Freunde nicht ohne Stolz. Sie spenden für die Non-Profit-Organisation Global H20, die seit 2017 mehr als 85 Brunnen für Dörfer in Zentralafrika bohren konnte. „Power of Adventure“ hatte bereits unmittelbar vor dem Start 1.500 Euro an den Dresdener Verein Sonnenstrahl e.V. übergeben. Dort kümmert man sich rührend um krebskranke Kinder und Jugendliche.